Kapitän ohne Binde

Bastian Schweinsteiger lag am Boden. Seine Beine zuckten vor Schmerz. Dr. Müller-Wohlfahrt versorgte gerade den Cut, den Schweinsteiger von Sergio Aguero Sekunden zuvor durch einen Faustschlag erhalten hatte. 10 Meter daneben stand Kevin Großkreutz als Einwechselspieler bereit. Sollte Schweinsteiger wieder am Ende eines Finales auf dem Boden liegen. Geschlagen sowohl physisch als auch vom Resultat?

„Alptraum dahoam“

Bastian Schweinsteiger hatte schon einmal in einem Finale am Boden gelegen. Es war der  19.05.2012 um 23:20 Uhr in der Allianz-Arena in München. Schweinsteiger saß am Boden, die Hände über dem Kopf.  Fünf Minuten vorher hatte er den letzten Elfmeter des FC Bayern München im Champions League Finale an den Pfosten gesetzt. Didier Drogba hatte kurz danach zum Sieg für den FC Chelsea getroffen. Während die Londoner auf dem Münchner Rasen feierten, war das „Finale dahoam“ für Bastian Schweinsteiger zum Alptraum geworden. Es schien, als ob er nie einen großen Titel gewinnen könnte. Schweinsteiger hatte deutsche Meisterschaften gewonnen und deutsche Pokalsiege errungen. Bei den internationalen Endspielen und Turnieren war er aber immer leer ausgegangen.

 

Niederlagen bei EM, WM und in der Champions League

2006 beendete Italien das Sommermärchen, 2008 verlor Deutschland im EM-Finale gegen Spanien. 2010 unterlag Schweinsteiger mit den Bayern erst im Champions League-Finale gegen Inter Mailand, und Wochen später dann im WM-Halbfinale mit der DFB-Elf wieder gegen die Spanier.

Das Finale in München sollte endlich den ersehnten großen Titel bringen. Doch das Spiel in Schweinsteigers Wohnzimmer hatte kaum begonnen, da hatte er auch schon die gelbe Karte gesehen. Ein vollkommen überflüssiges Handspiel, und Schweinsteiger musste den Rest der Partie mit Vorsicht agieren. So konnte er während der 120 Minuten Spielzeit nicht mehr entscheidend auf das Ergebnis Einfluss nehmen. Und dann folgte der Fehlschuss im Elfmeterschießen.

 

Kein Führungsspieler – zu brav für den großen Titel

Als Deutschland im Sommer 2012, einen Monat nach dem Finale in München, im Halbfinale der Europameisterschaft gegen Italien ausschied, da schien das Urteil über Bastian Schweinsteiger endgültig gefällt worden zu sein. „Chefchen“, kein Führungsspieler, zu weich, zu lieb, zu erfolglos. Sicher, andere Spieler waren genauso Ziel dieser Kritik, aber es war auch und vor allem Schweinsteiger, auf den diese Worte einprasselten. Der Kicker gab ihm die Note 6 für seine Leistung im Semifinale. Es machte den Eindruck, als sei seine Karriere für immer mit dem Makel belegt, er könne den letzten Schritt zum großen Titel nicht gehen. Gut, aber nicht gut genug für ganz oben.

In der Saison 2012/13 befreite sich Schweinsteiger dann langsam von den prägenden Niederlagen im Frühsommer 2012. Der FC Bayern eilte von Rekord zu Rekord und war auf dem Weg, die vergebenen Chancen aus dem Vorjahr wieder gut zu machen. Schweinsteiger war wieder einer der Leistungsträger im Team von Trainer Jupp Heynckes. Selbst eine Verletzung am Sprunggelenk hinderte Schweinsteiger nicht daran, mit zwei überragenden Leistungen im Halbfinale gegen den FC Barcelona, den FC Bayern erneut ins Finale der Champions League zu führen.

 

Déjà-vu und Triumph in Wembley

Im Finale von London muss sich Schweinsteiger dann aber wie in einer Zeitschleife vorgekommen sein. Erst verletzte er sich beim Aufwärmen leicht. Dann dominierte der Gegner, ausgerechnet Borussia Dortmund, die Bayern in den ersten 25 Minuten. Schweinsteiger stand wieder total neben sich, und die Erinnerungen an das Vorjahr kamen auf. Doch dieses Mal war Schweinsteiger nicht alleine. Sein kongenialer Partner Javi Martinez sorgte immer mehr für Ruhe im Bayernspiel, und das gab auch Schweinsteiger seine Sicherheit zurück. Mit zunehmender Spieldauer fand er wieder zurück zu seiner Form. Am Ende wurden die Bayern belohnt. Arjen Robben traf zum 2:1 und die Generation um Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm und Thomas Müller hatte endlich ihren ersten großen internationalen Titel gewonnen – auf Vereinsebene.

 

Verletzung und Bankdrücker zu Beginn der WM

 

Zu Beginn der WM noch fraglich: Bastian Schweinsteiger -Copyright DFB

Zu Beginn der WM noch fraglich: Bastian Schweinsteiger -Copyright DFB

Was noch zur absoluten Krönung fehlte, war der Triumph mit der DFB-Elf. Der sollte bei der WM 2014 in Brasilien endlich folgen. Aber wie im berühmten „Dinner for one“, so hieß es auch für Bastian Schweinsteiger „Same procedure as every year.“ Wieder hatte er im Vorfeld auf ein Turnier oder ein Finale eine Verletzung erlitten. Mit Problemen an der Patellasehne verpasste er erst im Mai das DFB Pokal-Finale, und danach fast die komplette Vorbereitung der Nationalmannschaft vor der WM.

Die 4:0-Gala gegen Portugal erlebte Schweinsteiger von der Bank. Thomas Müller wurde bejubelt und Sami Khedira wurde gefeiert für seine guten Leistungen, ein halbes Jahr nach seinem Kreuzbandriss. Schweinsteiger war in der öffentlichen Wahrnehmung auf dem Abstellgleis gelandet, ein etwas voreiliges Urteil.

Wie wichtig Schweinsteiger für  die Mannschaft war, zeigte sich schon im zweiten Gruppenspiel. Bei Spielstand 1:2 gegen Ghana wurde er eingewechselt, sorgte sofort für Impulse und führte die DFB-Elf noch zum 2:2-Unentschieden. Gegen die USA stand er in der Startelf und zeigte sein bestes Länderspiel seit Langem.

 

Kämpfen und Krämpfe gegen Algerien

Im Achtelfinale gegen Algerien gab es dann wieder einen kleinen Rückschritt. Schweinsteiger spielte nicht gut und leistete sich viele Fehler im Spielaufbau. Jedoch spielte die ganze deutsche Elf nicht überragend, und zumindest die kämpferische Einstellung bei Bastian Schweinsteiger stimmte. Minutenlang schleppte er sich in der Verlängerung noch über den Platz, obwohl er schon deutlich von Krämpfen gezeichnet war. Das er trotzdem 109 Minuten durchgehalten hatte, war ein gutes Zeichen für die zunehmende körperliche Fitness.

Das Viertelfinale gegen Frankreich war solide, das Halbfinale gegen Brasilien war gut. Im Rampenlicht standen beim 7:1 aber wieder andere. Dennoch war im Halbfinale klar geworden, dass Schweinsteiger sogar mit Khedira zusammen spielen konnte. Das schien zu Beginn der WM noch unmöglich.

 

Kramer statt Khedira als Partner – eine halbe Stunde lang

Vor dem Finale dann wieder der nächste Schock durch eine Verletzung. Diesmal war es allerdings nicht Schweinsteiger selber, der Probleme hatte, sondern Sami Khedira der ausfiel. Christoph Kramer ersetzte den Madrider in der Startelf.

Das nächste schlechte Omen folgte im Spiel. Nach knapp 25 Minuten sah Schweinsteiger gelb. Mit einer Verwarnung vorbelastet, mehr als eine Stunde lang im defensiven Mittelfeld gegen Messi &Co verteidigen – ein schwieriges Unterfangen. Doch in diesem Finale wollte sich Bastian Schweinsteiger nicht geschlagen geben. Wer weiß, wie lange sein Körper den Belastungen des Profifußballs noch standhalten könnte. Wie oft erreicht ein Spieler das Finale einer Weltmeisterschaft? Hier in Rio de Janeiro wollte er Geschichte schreiben. Deutschland sollte endlich zum vierten Mal Weltmeister werden. Er würde dafür sorgen, egal wie.

 

Mit gelb vorbelastet alleine im Mittelfeld

Eine halbe Stunde war im Finale von Rio gespielt, da war Bastian Schweinsteiger alleine im defensiven Mittelfeld. Christoph Kramer war mehrfach am Kopf getroffen worden und musste verletzt ausgewechselt werden. André Schürrle kam, damit fehlte in der Schnittstelle zwischen Abwehr und Angriff ein Spieler. Schweinsteiger musste noch mehr laufen, noch mehr Räume schließen.

Doch das war egal an diesem 13.07.2014. Die zahlreichen Fouls an Schweinsteiger durch Mascherano, Rojo und wieder Mascherano hatte er erlitten, stand auf und spielte weiter. Auch den Schlag von Aguero hatte Schweinsteiger eher registriert und zur Kenntnis genommen. Wäre da nicht die Blutung gewesen, er hätte den Platz niemals verlassen.

 

Blutend am Boden – Feiernd auf der Tribüne

Aber so lag Schweinsteiger wieder in einem Finale am Boden. Doch dieses Mal würde Bastian Schweinsteiger nicht auf dem Boden liegen bleiben und verlieren. Er stand auf und signalisierte Schiedsrichter Nicola Rizzoli, dass er wieder aufs Spielfeld gehen wollte. Sobald er auf dem Platz war, forderte er direkt wieder den Ball. Eine Minute später flankte Schürrle, traf Mario Götze. Eine gefühlte Ewigkeit später pfiff Rizzoli ab. Deutschland war Weltmeister, Bastian Schweinsteiger lag weinend in den Armen von Jogi Löw.

Das Philipp Lahm den Pokal danach im Empfang nahm, war nebensächlich. Der Triumph von Rio de Janeiro ist der Triumph einer ganzen Mannschaft, aber nicht nur. Es ist auch der Triumph eines Spielers, der vor etwas mehr als zwei Jahren ganz unten auf dem Rasen gesessen hatte, gescheitert, geschlagen und gedemütigt im eigenen Stadion. Er war aufgestanden, hatte sich immer wieder zurück gekämpft, und letztlich doch die größten Titel im Weltfußball gewonnen.

Die Haare mögen grau geworden sein bei Bastian Schweinsteiger, seine Karriere ist seit dem 13.07.2014 vergoldet!

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