Die rot-weiße EM – Bayernspieler in Frankreich – Teil 1 von 2
Der FC Bayern München stellt mit neun Spielern die meisten Teilnehmer aller Bundesligisten an der Europameisterschaft in Frankreich. Wie sind die Chancen der Akteure auf persönlichen und mannschaftlichen Erfolg bei der Euro 2016? Wer kann sich zu einem Shootingstar entwickeln und wessen Titelchancen sind realistisch? Im ersten Teil widme ich mich den Spielern in der deutschen Nationalmannschaft.
Bei der WM in Brasilien standen noch sieben Spieler aus München im Kader des DFB. Toni Kroos und Bastian Schweinsteiger spielen mittlerweile nicht mehr in der Bundesliga. Dazu hat Philipp Lahm seine Karriere in der Nationalmannschaft beendet. Ihn „ersetzt“ Joshua Kimmich. Manuel Neuer, Jérôme Boateng, Thomas Müller und Mario Götze waren bereits in Brasilien dabei. Mats Hummels ist zwar ab der nächsten Saison Bayernspieler, wird aber in Frankreich noch als BVB-Spieler gezählt.
Manuel Neuer
Halbfinale mit Platz 3, Halbfinale, Weltmeister – Die Bilanz bei internationalen Turnieren von Manuel Neuer ist beeindruckend. Neben dem mannschaftlichen Erfolg definierte der Torwart auf dem Weg zum Weltmeistertitel seine Position zudem neu, und fügte liberoartige Elemente den klassischen Aufgaben des Torhüters hinzu. An Form und Leistungsstärke hat sich in den vergangenen zwei Jahren ansonsten nichts geändert. Neuer ist immer noch der beste Torwart der Welt, leistet sich so gut wie keine Fehler und wird – Verletzungen ausgenommen – auf jeden Fall die deutsche Nummer eins sein. Im Gegensatz zur WM 2014 geht Neuer auch komplett gesund ins Turnier. Weiteren Glanzparaden steht demnach nichts im Weg. Einziges „Problem“ von Neuer ist vielleicht, dass die Leistungen des gebürtigen Gelsenkircheners mittlerweile keine Besonderheiten sind. Es wird schwer für Neuer die eigene Qualität noch einmal zu steigern. Vielleicht ergibt sich ja bei einem Elfmeterschießen die Gelegenheit zum Helden zu werden. Ein solcher Erfolg fehlt noch in der Nationalmannschafts-Vita von Manuel Neuer.
Neuer ist bereits einer der deutschen Stars, kaum Luft nach oben.
Starpotenzial 9 von 10 Punkten
Jérôme Boateng
Boateng hat vielleicht die größte Entwicklung seit dem Vorfeld der WM 2014 genommen. Der 27-jährige ist DIE feste Größe in der Abwehr des FC Bayern und der Nationalmannschaft. Als der Verteidiger im Frühjahr ausfiel, verlor auch die Defensive des Rekordmeisters an Sicherheit. Boateng ist noch stabiler geworden, hat viel seltener grobe Schnitzer in der Rückwärtsbewegung, und hat seinem Spiel zusätzlich eine neue Dimension gegeben. Die langen Bälle in die Spitze sind eine wichtige taktische Waffe beim FCB und DFB. Boateng ist erwachsener und kompletter als je zuvor in seiner Karriere. Er strahlt Ruhe und Sicherheit aus, und ist ironischerweise vielleicht genauso „Kapitän ohne Binde“ wie der eigentliche Mannschaftsführer Schweinsteiger es 2014 war. Trotz der Position in oberster Ebene der Hierarchie der Nationalmannschaft ist Boateng außerhalb des Platzes einer der sympathischsten Profis. Ruhig und sachlich, manchmal gelangweilt wirkend, aber nie arrogant, antwortet Boateng auf die Fragen der Medienvertreter. Jérôme Boateng hat auch aus der Unruhe vor der WM gelernt und sein Privatleben steht nicht mehr im Fokus der Öffentlichkeit.
In Brasilien zeigte Boateng im Schatten der älteren Spieler sehr gute Leistungen. In Frankreich steht er selber im Scheinwerferlicht.
Starpotenzial 10 von 10
Mario Götze
Verglichen mit Jérôme Boateng wirken die letzten zwei Jahre des Mario Götze wie die Entwicklung in die komplette Gegenrichtung. Der strahlende Held des WM-Finales ging beim FC Bayern unter. Statt den positiven Schwung aus Brasilien auch in München zum Durchbruch zu nutzen, machte Götze nicht durch sportliche Erfolge auf sich aufmerksam. 34 Tore schoss Götze in seinen drei Bayernjahren, aber in den entscheidenden Spielen trafen andere. Trainer Pep Guardiola setzte in wichtigen Spielen selten bis gar nicht auf die Dienste des offensiven Mittelfeldspielers. Dazu sorgten die Auftritte von Götze auf den Accounts seiner Social Media Auftritte immer wieder für Fragezeichen und Kopfschütteln. Die Trennung von seinem langjährigen Spielerberater war folgerichtig, kam aber für den FC Bayern eher zu spät.
In der Nationalmannschaft ist die Situation anders. Götze gehört für Jogi Löw zum festen Kern des Teams. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass Götze zur Startelf gehört, aber er ist immer eine Alternative für den Bundestrainer. In der Nationalmannschaft sind die Leistungen von Götze auch konstanter bzw. die Wahrnehmung ist anders. Das, was bei Spielen des FC Bayern als Nachlässigkeit ausgelegt wird, ist plötzlich Lockerheit. Die Wahrheit liegt wie so häufig in der Mitte. Götze spielte beim DFB keineswegs immer überragend, steht aber nicht so im Fokus wie beim FCB. Kritisiert werden häufig andere Offensivspieler wie Mesut Özil oder Mario Gomez. Die Rückendeckung durch den Trainerstab ist Mario Götze auch in Frankreich gewiss. Dazu entschärft der Ausfall seines Kumpels Marco Reus die Konkurrenzsituation in der Offensive.
„Nutzt Götze seine Chancen, kann er einer der WM-Stars werden“, schrieb ich 2014 über den mittlerweile 24-jährigen. Diese Aussage gilt auch für die EM 2016. Für Götze kann Frankreich der Schritt zum echten Weltstar werden. Zumindest ist es eine Chance sich für andere Vereine interessant zu machen, denn spielen wird er nach der Europameisterschaft aller Voraussicht nach nicht mehr in München.
Starpotenzial 9 von 10
Thomas Müller
Ist Müller gesund, spielt er. Viel mehr braucht man über den „Raumdeuter“ nicht mehr schreiben. Da Thomas Müller so gut wie nie verletzt ist, spielt er dementsprechend auch (fast) immer. Ausnahmen dieser Regel sind Veranlassung für mediale Kritik am jeweiligen Trainer. Joachim Löw hat aber keinen Grund auf Müller zu verzichten. Im Gegenteil, denn durch die Verletzung von Reus ist eine Position in der Startelf für Müller fast schon garantiert.
Mit immer noch erst 26 Jahren hat der Weilheimer alles in der Fußballwelt gesehen. In seiner Titelsammlung fehlt nur noch der Europameistertitel. Unfehlbar ist Müller nicht, dass bewies das Halbfinale gegen Atlético Madrid. Zudem wirkte Müller im letzten Saisondrittel etwas überspielt, wirkte mental und körperlich platt, und ließ die nötige Lockerheit und Kaltschnäuzigkeit vorm Tor vermissen. Die Pause vor der EM dürfte ihm gut getan haben. Müller ist bereits einer der großen Stars im DFB-Team., und ihm „fehlt“ im Prinzip nur noch ein Siegtor in einem großen Finale. Am 10.Juli 2016 gäbe es die nächste Chance, aber ansonsten jubelt er eben wieder mit weit aufgerissenem Mund hinter dem Siegtorschützen.
Starpotenzial 9 von 10, siehe Manuel Neuer.
Joshua Kimmich
Der Senkrechtstarter der Saison 2015/16. Joshua Kimmich nutzte die Chancen, die sich durch Verletzungen in der Abwehr des FC Bayern ergaben, und war in der Rückrunde über lange Phasen Stammspieler unter Pep Guardiola. Seine Vielseitigkeit macht Kimmich auch für den Bundestrainer so interessant, dass Kimmich, mit nur einem Länderspiel in seiner Vita, in den EM-Kader berufen wurde. Kimmich kann im Mittelfeld und in der Abwehr gleich mehrere Positionen spielen. Auch auf der Außenverteidigerposition, seit beinahe Jahrzehnten die Schwachstelle der Nationalmannschaft, könnte der 21-jährige zum Einsatz kommen. Dennoch erscheint es eher unwahrscheinlich, dass Kimmich im Laufe der Europameisterschaft ebenfalls zu den ersten elf gehören wird. Joachim Löw wird vermutlich seine Sicherheitsvariante mit vier Innenvertedigern einsetzen, oder bei Bedarf einer Dreierkette den Vorzug geben. Da sind Hummels und Boateng gesetzt, und für die dritte Position gäbe es eine Vielzahl an Kandidaten.
Im defensiven Mittelfeld, der ursprünglichen Heimat von Joshua Kimmich, sind Khedira und Schweinsteiger die Nummer 1a und 1b. Hinter der Fitness von beiden stehen aber immer mehr oder weniger große Fragezeichen. Toni Kroos wäre eine weitere Möglichkeit auf dieser Position oder mit Julian Weigl der nächste Aufsteiger. Weigl hat bei Borussia Dortmund zudem ausschließlich im defensiven Mittelfeld gespielt.
Selten waren in einer Nationalmannschaft so viele Fragezeichen hinter so vielen Positionen. Löw hat angekündigt, dass er „in jedem Spiel frische Spieler benötige“. Die beiden Testspiele gegen die Slowakei und Ungarn lassen außerdem darauf schließen, dass es nicht die eine Formation und Taktik der DFB-Elf geben wird, sondern dass, analog zum FC Bayern, Aufstellungen und Ausrichtungen auch innerhalb der Spiele mehrfach wechseln könnten. Das erhöht die Chancen auf Einsätze für Kimmich. Der könnte bei der EM 2016 ich auch international auf sich aufmerksam machen, oder Joshua Kimmich sammelt als Ergänzungsspieler wenigstens erste Erfahrungen bei einem großen Turnier.
Starpotenzial 2 von 10 oder 9 von 10.
Die deutsche Nationalmannschaft
Und alle zwei Jahre grüßt das Murmeltier. Die Probleme bei der deutschen Nationalmannschaft vor den großen Turnieren ähneln sich. Im defensiven Mittelfeld sind die Spieler entweder verletzt, angeschlagen oder sehr unerfahren, in der Offensive ist eher ein Überangebot an guten Akteuren vorhanden, und die Außenverteidigerpositionen bleiben die großen Baustellen des Teams. Gestört haben diese Hindernisse zu Anfang der Welt- und Europameisterschaften nie. Die Vorrunde übersteht Deutschland sowieso, und bis zum Achtelfinale kann der Bundestrainer ausprobieren und seine Formation finden. In der KO-Phase kommt es dann auch auf die Erfahrung und den Willen an, und neben den Spaniern haben die Spieler aus der DFB-Elf dabei die größte Routine. Wird dieser Mix durch ein wenig Glück ergänzt, könnte der Weltmeister in diesem Sommer auch den europäischen Titel erringen.
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