Class of 2015 – Hockey Hall of Fame – Sergei Fedorov – Vom Stürmer zum Verteidiger
Am 9. November 2015 fand die Aufnahmezeremonie für den diesjährigen Jahrgang der Hockey Hall of Fame statt. Wie im Vorjahr stelle ich die neuen Mitglieder für das Eishockey-Magazin vor und beleuchte ihre Karrierestationen. Warum werden Nicklas Lidström , Sergei Fedorov, Chris Pronger und Phil Housley in die Ruhmeshalle des Eishockeys aufgenommen?
Sergei Fedorov – Vom Stürmer zum Verteidiger
„Wir wussten, dass wir nicht mehr zurück in unser Heimatland kommen konnten. Das war eines der traurigsten und einsamsten Dinge, die man sich jemals vorstellen kann. Aber ich liebte es Eishockey zu spielen, und als ich mein erstes Jahr ( in der NHL. ) spielte, da sah ich 20.000 Zuschauer die mir zujubelten. Das war sehr aufregend.“ Sergej Fedorov 2010.
Knapp 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs fällt es schwer sich daran zu erinnern, dass es eine Zeit gab, in der Eishockeyspieler aus dem „Ostblock“ ihre Familien und Freunde zurücklassen mussten, um professionell in Nordamerika spielen zu können. Einer der letzten Akteure der während einer Länderspielreise der Nationalmannschaft der UDSSR sein bisheriges Leben zurück ließ, war Sergei Fedorov. In einer filmreifen Flucht schleusten 1990 die Helfer der Detroit Red Wings den Center aus einem Hotel am Flughafen in Portland direkt in den Privatjet von Teambesitzer Mike Ilitch. Bevor die sowjetischen Offiziellen den Verlust eines ihrer besten Spieler bemerkt hatten, landete der Flieger mit Fedorov bereits in Michigan.
Mogilny – Fedorov – Bure: Die schnellste Reihe der Geschichte?
Der Aufwand, den die Red Wings für den Wechsel von Fedorov betrieben, rechtfertigte sich durch das große Potenzial des Mittelstürmers. Bereits mit 16 Jahren hatte Fedorov für ZSKA Moskau debütiert. Zusammen mit Pavel Bure und Alexander Mogilny bildete der Center die vielleicht schnellste Reihe in der Geschichte des Eishockeys. Die drei stellten gegnerische Mannschaften mit ihrer Geschwindigkeit und Technik häufig vor eine unlösbare Herausforderung.
Teamkollege Mogilny war es auch, der 1989 als erster junger sowjetischer Eishockeyspieler in die USA floh. Damit lieferte er die Vorlage für Fedorov und weitere fluchtwillige Akteure. Nachdem er mit der Jugendnationalmannschaft und auch dem Erwachsenenteam der UDSSR einige Erfolge gefeiert hatte (Jugendweltmeister 1989, Weltmeister 1989 & 1990), schien die Zeit reif für den großen Schritt in die National Hockey League.
Rückennummer 91 – wegen Steve Yzerman
Einen neuen Mitspieler in Detroit kannte Fedorov bereits, wenn auch nur aus dem Fernsehen. Steve Yzerman war das große Idol des Russen, und so verpasste ihm der Zeugwart der Red Wings die Rückennummer 91, als umgekehrte Version von Yzermans 19. Lange brauchte Fedorov nicht, um sich in der ungewohnten Umgebung zurecht zu finden. Seine Rookie-Saison beendet er mit 31 Toren und 79 Punkten. In den Spielzeiten 1991/92 und 1992/93 bestätigte Fedorov seine Leistung im Auftaktjahr mit fast identischen Scorerwerten (32Tore/54Assists;34T/53A).
Fedorov wird zum Superstar
Trotz der guten Zahlen stand Fedorov in den ersten drei Jahren in der NHL etwas im Schatten seines Vorbilds Steve Yzerman. Das änderte sich in der Saison 1993/94. Yzerman verletzte sich, und Fedorov spielte zeitweilig Center in zwei Reihen. Dabei gelangen Fedorov 56 Tore, er gab dazu 64 Vorlagen und sammelte so insgesamt 120 Punkte. Als erster europäischer Spieler wurde er nach der Saison sowohl von den Journalisten, als auch von den Spielern der National Hockey League, zum wertvollsten Akteur der Liga gewählt.
Doch nicht nur in der Offensive überzeugte Sergei Fedorov. Die Verteidigungsleistungen des Centers waren so gut, dass er neben der MVP-Trophäe auch noch die Frank J. Selke Trophy überreicht bekam. Die wird in jedem Jahr an den Stürmer vergeben, „der das größte Können im defensiven Aspekt des Spiel zeigt“. Bester Spieler der Liga, dazu eine seltene Kombination von offensiven Fähigkeiten gepaart mit guter Verteidigung – Sergej Fedorov war persönlich vier Jahre nach seiner Flucht auf dem Höhepunkt der Karriere.
Kein Erfolg mit der Mannschaft
Doch die individuellen Auszeichnungen standen im Widerspruch zum mannschaftlichen Erfolg der Red Wings. Seit 1955 wartete die „Hockeytown“ auf den Gewinn des Stanley Cups, und Anfang der 90er änderte sich daran erst einmal nichts. 91, 93 und 94 scheiterte Detroit bereits in der ersten Runde der Playoffs. 1995 erreichte das Team dann endlich das Finale und war der große Favorit. Doch nicht einmal eine einzige Partie gewannen die Red Wings gegen die New Jersey Devils. Im Jahr darauf zauberten Fedorov und seine Mitspieler zwar eine Rekordsaison aufs Eis – 62 Siege in der Regular Season sind noch immer Bestmarke der NHL – aber in den Playoffs war gegen die Colorado Avalanche im Finale der Western Conference Endstation.
So wie ein Alex Ovechkin sich heutzutage Vorwürfe für das Abschneiden seiner Mannschaft in der Endrunde anhören darf, so wurde auch Fedorov Mitte der 90er als Sündenbock auserkoren. Zu weich, zu brav und zu wenig ehrgeizig waren die Vorurteile, mit denen sich der Center auseinandersetzen musste. Ignoriert wurde dabei, dass Fedorov z.B. in den Playoffs 1995 der Topscorer der gesamten Liga war, während Mannschaftskapitän Yzerman eher dürftige Leistungen gezeigt hatte. Fedorov befeuerte Kritik an seiner Person indirekt noch dadurch, dass er einen lukrativen Werbevertrag mit dem Ausrüster NIKE abschloss und danach mit weißen Schlittschuhen auflief. Das Image des Schönlings und Schönspielers haftete an ihm.
„Russian Five“ führen Detroit zum Stanley Cup
Der Schlüssel zum ersten Stanley Cup Sieg der Red Wings seit über 40 Jahren sollten dann aber ausgerechnet die Profis aus der ehemaligen Sowjetunion bilden. Neben Fedorov waren, Igor Larionow , Wjatscheslaw Koslow, Wladimir Konstantinow und Wjatscheslaw Fetissow im Kader von Detroit. Trainer Scotty Bowman setzte die russischen Spieler teilweise als kompletten Fünferblock ein, und die „Russian Five“ hatten entscheidenden Anteil am Gewinn der Meisterschaft 1997. Fedorov war wieder Topscorer der Playoffs, wie schon 1995.
Trotz dieses Erfolgs kam Fedorov aber nicht zur Ruhe. Der Vertrag des damals 27-jährigen lief aus, und es konnte zu Beginn der Saison 1997/98 keine Einigung mit den Red Wings erzielt werden. Fedorov setzte die ersten Monate der Spielzeit aus, und unterzeichnete im Februar 1998 ein Angebot der Carolina Hurricanes. Detroit hatte allerdings das Recht mit dem Angebot gleichzuziehen, und tat dies letztlich auch. Fedorov erhielt mit Bonuszahlungen insgesamt 28 Millionen Dollar für 43 Spiele – das höchste Jahresgehalt, das je ein NHL-Profi gezahlt bekommen hat.
Zusätzlich motiviert durch den tragischen Unfall von Konstantinow verteidigten die Red Wings 1998 die Meisterschaft. Und obwohl Fedorov weite Teile der regulären Saison verpasst hatte, war er mit zehn Treffern in den Playoffs wieder einer der wichtigen Eckpfeiler der Titelverteidigung.
Schwierige Jahre in Detroit
In den folgenden Jahren waren die Red Wings immer einer der Favoriten auf den Stanley Cup, schieden aber genauso regelmäßig früh aus den Playoffs aus. Fedorov sammelte zwar immer noch für fast einen Punkt pro Spiel, die Zahlen aus seinen ersten NHL-Jahren erreichte er aber nicht mehr. Das lag allerdings auch daran, dass Scotty Bowman die Vielseitigkeit von Fedorov voll ausnutzte. Als u.a. Chris Chelios wegen einer Verletzung fehlte, setzte der Trainer der Red Wings den gelernten Stürmer Fedorov als Verteidiger ein. Für den Defensivspezialisten war das kein Problem, und Fedorov freute sich sogar über die erhöhte Spielzeit: “ Ich war glücklich, denn ich wusste, dass ich mehr als 20 Minuten pro Spiel auf dem Eis stehen würde.“
Obwohl sich Fedorov in den Jahren nach der zweifachen Meisterschaft also voll in den Dienst der Mannschaft stellte, wurde die Erfolglosigkeit von 1999-2001 vor allem an seiner Person festgemacht. Zwar erzielte der Center in 13 Jahren Detroit zehnmal 30 oder mehr Tore, aber nur in der Saison 1993/94 traf Fedorov deutlich öfter. Der Vorwurf, er würde sein Potenzial nicht an jedem Abend ausschöpfen, stand immer im Raum. Dazu brachte die technisch hochwertige und elegante Spielweise von Fedorov ihm in der Arbeiterstadt Detroit nicht bei allen Fans Anerkennung ein. Zusammen mit dem Ärger um die Vertragsverlängerung 1997 entwickelte sich eine Hassliebe zwischen den Anhängern der Red Wings und Fedorov.
Dritter Stanley Cup und Abschied aus Hockeytown
Trotzdem reichte es für Fedorov noch einmal zum Gewinn des Stanley Cups. 2001/02 hatten die Red Wings mächtig aufgerüstet und die Mannschaft u.a. mit Brett Hull, Luc Robitaille und Dominik Hasek verstärkt. Fedorov sammelte 68 Punkte in der regulären Saison und war mit 19 Punkten in 23 Playoffspielen drittbester Scorer der NHL. In der darauffolgenden Spielzeit erzielte Fedorov sogar erstmals seit sieben Jahren wieder mehr als einen Punkt pro Spiel. In der Endrunde schieden die Red Wings aber sensationell in nur vier Spielen gegen die Anaheim Ducks aus. Es sollten die letzten Partien von Fedorov im Dress von Detroit gewesen sein.
Wie bereits einige Jahre zuvor konnte sich Fedorov nicht schnell mit seinem bisher einzigen NHL-Club auf einen neuen Kontrakt einigen. Der Russe wollte angesichts des drohenden Lockouts einen längerfristigen Vertrag. Detroit bot vier Jahre für 40 Millionen Dollar, Fedorov lehnte ab. Warum er dann allerdings für die gleiche Summe, aber ein Jahr mehr Vertragslaufzeit in Anaheim unterschrieb, bleibt ein kleines Rätsel. Fedorov begründete diese Entscheidung damit, dass er nach dem Ende der Beziehung mit Anna Kournikova etwas verwirrt gewesen sei. Den Wechsel ausgerechnet zu dem Team, dass im Frühjahr 2003 Detroit aus den Playoffs geworfen hatte, verziehen die Fans in Hockeytown Fedorov nicht. Fortan wurde Fedorov bei jedem Spiel in der Joe Louis Arena ausgebuht.
Anaheim, Columbus & Washington – Der langsame Abgang
In Anaheim sollte Fedorov Paul Kariya ersetzen, der mit den Ducks im Vorjahr knapp in sieben Spielen das Stanley Cup Finale verloren hatte. Doch die erste Saison an der Westküste verlief nicht wie geplant, und die Ducks verpassten die Playoffs. Die Spielzeit 2004/05 fiel dem Lockout zum Opfer. Im Jahr darauf fiel Fedorov erst einmal wegen Verletzung aus, und spielte dann nur noch fünf Partien für Anaheim. Nach Einführung des Salary Cap war der Vertrag des Russen für die Ducks zu kostspielig, und sie gaben Fedorov nach Columbus ab.
Die statistischen Werte von Fedorov gingen in Ohio immer mehr in den Keller. 2005/06 machte er noch 44 Punkte., 2006/07 42 Punkte in der regulären Saison. Playoffs spielte Fedorov von 2003-2008 überhaupt nicht. Als er wieder in der Endrunde aktiv sein konnte, stand er auch nicht mehr für die Blue Jackets auf dem Eis. Im Februar 2008 tauschte Columbus Fedorov gegen Ted Ruth nach Washington.
Bei den Capitals sollte Fedorov zusammen mit dem neuen russischen Superstar Alex Ovechkin die erste Reihe bilden. Wirklich gute Leistungen konnte der Center für die Capitals aber nicht mehr zeigen. Lediglich in den Playoffs 2009 flackerte der Stern von Fedorov noch einmal kurzzeitig am Eishockeyhimmel. Durch den Siegtreffer von Fedorov in Spiel sieben der ersten Runde zog Washington erstmal seit mehr als einem Jahrzehnt wieder in die zweite Runde der Playoffs ein. Auch die insgesamt 8 Punkte in 14 Endrundenspielen von Fedorov konnten sich noch einmal sehen lassen.
Ende der NHL-Karriere und Wechsel in die Heimat
Im Sommer 2009 beendete Sergej Fedorov dann seine Karriere in der National Hockey League. Fast 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hatten sich die Zeiten spürbar geändert, und Fedorov konnte sogar noch einmal in seinem Heimatland die Schlittschuhe schnüren. Drei Jahre lang spielte Fedorov für HK Metallurg Magnitogorsk in der Kontinentalen Hockey-Liga.
2012 war schließlich endgültig Schluss mit dem aktiven Sport. Fedorov kehrte zurück nach Moskau und ist seitdem als Manager bei ZSKA Moskau tätig.
In 1248 NHL-Spielen erzielte Fedorov 483 Tore und gab 696 Vorlagen für 1179 Punkte. Auch in den Playoffs hat er mit 176 Punkten in 183 Spielen fast einen Punkt pro Spiel erzielt.. Drei Stanley Cups, eine Hart Trophy und zwei Selke Trophies gewann Fedorov in der NHL. Dazu kommen noch drei Weltmeistertitel und zwei olympische Medaillen mit der russischen Nationalmannschaft.
Außerdem haben die Fans in Detroit Fedorov verziehen. Als er 2013, 10 Jahre nach dem Weggang aus Detroit, im Vorfeld des Winter Classic mit den anderen Legenden der Red Wings beim Alumni Game auf dem Eis stand, da jubelten die Anhänger in rot und weiß wie zu Beginn der 90er Jahre.
Originalartikel beim Eishockey-Magazin Nick Lidström
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