Die Top 11 der WM-Spiele mit Verlängerung und Elfmeterschießen – Plätze 3-1
In Teil eins und Teil zwei unserer Top Eleven der besten K.O. Spiele bei Weltmeisterschaften, die in der Verlängerung oder im Elfmeterschießen entschieden wurden, haben wir bereits Dramatik, Tragik und euphorischen Jubel kennengelernt. Zum Abschluss dreht sich alles um ein grandioses Comeback, das berühmteste „Tor“ der WM-Geschichte und das beste Spiel des 20. Jahrhunderts.
Platz 3 – Der Fallrückzieher von Sevilla
WM 1982 in Spanien Halbfinale
BR Deutschland – Frankreich 3:3 n.V. (1:1, 1:1), 5:4 i.E.
Die Sympathien der neutralen Zuschauer waren klar verteilt an diesem Sommerabend im Juli 1982. Alle nicht-deutschen drückten den Franzosen die Daumen. Die Elf von Jupp Derwall hatte sich aber auch große Mühe gegeben, den Kredit bei den Fußballfans außerhalb der Bundesrepublik zu verspielen. Nicht nur, dass man den Gastgeber Spanien in der Zwischenrunde ausgeschaltet hatte. Über allem schwebte noch „die Schande von Gijón“. Deutschland und Österreich hatten im Vorrundenspiel fast 80 Minuten lang alle Offensivbemühungen eingestellt, weil das 1:0 durch Horst Hrubesch in der 11. Minute beiden Mannschaften zum Weiterkommen reichte. Ein Sturm der Entrüstung war danach auf die Beteiligten eingeprasselt, an den deutschen Spielern aber scheinbar wirkungslos abgeprallt.
Spätestens als Harald „Toni“ Schuhmacher in der 60. Minute de Semifinales den Franzosen Patrick Battiston brutal mit einem Sprung niederstreckte, war klar, die bösen Deutschen dürfen nicht Gewinnen. Der französische Stürmer blieb besinnungslos liegen, und wurde später schwerverletzt ins Krankenhaus eingeliefert, Schumacher durfte weiterspielen[1]. Die Franzosen wollten sich natürlich für ihren verletzten Kameraden revanchieren. Doch in der regulären Spielzeit erreichte die Mannschaft um den Spielmacher Michel Platini, heute UEFA-Präsident, nur ein 1:1.
Die Gerechtigkeit schien dann aber in der Verlängerung endlich zu siegen. Nach Toren von Marius Tresor und Alain Giresse lagen die Franzosen in Minute 99 scheinbar uneinholbar mit 3:1 in Führung.
In einem Akt der Verzweiflung wechselte Bundestrainer Derwall Karl-Heinz Rummenigge ein. Der Mittelstürmer laborierte an einer Zerrung, und hätte eigentlich gar nicht spielen dürfen. Das hinderte ihn aber nicht daran, noch vor der Pause der Verlängerung den Anschlusstreffer zu erzielen.
Die zweiten 15 Minuten waren kaum angebrochen da hatten die Franzosen den Vorsprung schon wieder verspielt. Pierre Littbarski hatte von links in den französischen Strafraum geflankt, Hrubesch ließ den Ball kurz per Kopf in Richtung Klaus Fischer abtropfen, wobei der eigentlich falsch zum Tor stand. Doch das hatte den Stürmer noch nie gestört. Das beweist auch Platz zwei mit 268 Toren in der Bestenliste der Bundesliga bei den Torschützen hinter Gerd Müller. Wie so oft in seiner Karriere sprang Fischer mit dem Rücken zum Tor ab, und schoss den Ball mit einer Mischung aus Eleganz und Wucht per Fallrückzieher ins Tor der Franzosen. Nach 120 Minuten endete die Partie mit 3:3.
Die WM 1982 in Spanien war aber die erste Weltmeisterschaft, bei der es nach 120 Minuten keinen Losentscheid oder ein Wiederholungsspiel gab. Stand es auch nach Verlängerung unentschieden, so musste der Sieger im Elfmeterschießen ermittelt werden.
Wieder sah es so aus, als sollten sich die Franzosen durchsetzen. Uli Stielike, in späteren Jahren einmal für ein paar Stunden Bundestrainer, hatten die Nerven versagt. Der Mittelfeldspieler, der damals in Spanien bei Real Madrid spielte, stand heulend im Anstoßkreis und fühlte sich bereits für das Ausscheiden der Deutschen verantwortlich.
Diesmal war es Toni Schumacher, der Deutschland wieder zurück ins Spiel brachte. Ausgerechnet jener Schumacher, der nach einer Stunde Battiston gefällt hatte, dennoch aber nicht vom Platz gestellt wurde. Erst hielt der damalige Torwart des 1.FC Köln den Elfmeter von Didier Six, dann parierte er gegen Maxime Bossis. Als Horst Hrubesch seinen Elfmeter ins Tor drosch, stand Deutschland wieder im WM-Finale.
Zwar verlor die deutsche Mannschaft das Endspiel gegen Italien, die Franzosen fühlten sich aber dennoch ungerecht behandelt und haderten noch lange mit „der Nacht von Sevilla“. Erst bei der WM 1998 im eigenen Land konnte Frankreich erstmals ein WM-Finale erreichen und auch Weltmeister werden.
Die deutsche Nationalelf von 1982 ist bis heute die einzige Mannschaft, die in einer Verlängerung einen Zwei-Tore-Rückstand aufholen konnte. Vor allem der Fallrückzieher zum 3:3 von Klaus Fischer blieb dabei in Erinnerung. Er wurde in Deutschland zum „Tor des Jahres“ 1982 gewählt.
Platz 2 – Das Tor, das keines war
WM 1966 Finale
England – BR Deutschland 4:2 n.V. (2:2, 1:1)
1966 wollten die Engländer endlich Weltmeister werden. Das Mutterland des Fußballs war bei den bisherigen Weltmeisterschaften noch ohne Titel geblieben. In den Anfangsjahren waren die Engländer gar nicht angetreten, bei den Turnieren 1950, 1954 und 1958 war die Mannschaft eher blamabel gescheitert. Ein Aufwärtstrend war bei der WM 1962 in Chile zu erkennen, als England im Viertelfinale dem späteren Weltmeister Brasilien unterlag. Auf dem Weg ins Finale 1966 hatte das Team um Bobby Charlton überzeugt, und nur beim 0:0 in der Vorrunde gegen Uruguay nicht gewonnen.
Gegner im Finale 1966 waren ausgerechnet die Deutschen. Auch die hatten in ihrer Vorrunde einmal 0:0 gespielt (gegen Argentinien), waren danach aber relativ souverän ins Endspiel eingezogen. Trotzdem war für die englische Öffentlichkeit klar, dass der Titel im eigenen Land bleiben würde.
Doch die Deutschen begannen vor 97.000 Zuschauern gut und gingen früh in Führung. Helmut Haller traf nach einer zu kurz geratener Kopfballabwehr. Die Führung hatte aber nicht lange bestand. Bei einem schnell ausgeführten Freistoß der Engländer war die deutsche Hintermannschaft kurzzeitig im Tiefschlaf. Geoff Hurst stand vollkommen frei vor Torwart Hans Tilkowski, und hatte keine Mühe zum Ausgleich einzunicken.
Das Spiel in der ersten Halbzeit wogte hin und her. Es wurde um jeden Zentimeter des „heiligen Rasen“ von Wembley gekämpft. Torwart Tilkowski war nach einem Zweikampf mit Torschütze Hurst sogar kurzzeitig bewusstlos. So einfach, wie sich die englischen Fans und die englische Mannschaft das Finale vorgestellt hatten, wurde es nicht. Die deutschen Spieler ergaben sich nicht in ihr scheinbar vorbestimmtes Schicksal.
Als sich bereits andeutete, dass die Partie in die Verlängerung gehen könnte, schien der Favorit doch die Oberhand zu behalten. Wieder war es eine Freistoßsituation, nach der die Engländer zwölf Minuten vor Ablauf der 90 Minuten in Führung gehen konnten. Horst-Dieter Höttges hatte im deutschen Strafraum einen Querschläger produziert, und Martin Peters konnte zur erstmaligen Führung für die Gastgeber treffen.
Die Zeit lief jetzt natürlich gegen die Elf von Trainer Helmut Schön. Einmal noch gab es einen Freistoß vor dem englischen Tor. Held kam wieder an den Ball und Torwart Gordon Banks konnte den Schuss nur vors Tor abklatschen. Wolfgang Weber vom 1.FC Köln reagierte am schnellsten und drosch den Abpraller in die Maschen. Mit der letzten Aktion der regulären Spielzeit hatten die Deutschen ausgeglichen.
In der Verlängerung wurde der Druck der Engländer wieder größer, aber noch hielt das deutsche Abwehrbollwerk. Tillkowski mit einer schönen Parade, und der Pfosten bewahrten die deutsche Elf vor einem Rückstand.
Auch in der 101. Minute hatten die Deutschen mit Glück und Geschick ihr Tor verteidigt. Hurst hatte mit einem Drehschuss die Latte getroffen, der Ball prallte auf der Torlinie auf, und die deutsche Abwehr klärte zur Ecke. So hatte es auch Schiedsrichter Gottfried Dienst aus der Schweiz gesehen und entschieden.
Da meldete sich von der Seitenlinie der sowjetische Linienrichter Tefik Bachramow. Dienst ging zur Seitenlinie, hielt einen kurzen Dialog mit Bachramow und entschied dann auf Tor.
Unterschiedlicher hätten die Reaktionen nicht sein können. Auf der einen Seite jubelten die Engländer, auf der anderen protestierten die Deutschen Spieler vehement.
2005 belegte eine Studie der University of Oxford, dass der Ball nicht im Tor war. 1966 blieben der deutschen Mannschaft noch 19 Minuten um den Ausgleich zu erzielen, und ein Wiederholungsspiel zu erzwingen. Doch dazu fehlte dem Team an diesem 30.Juni 1966 die Kraft. Die Engländer spielten den Vorsprung clever über die Zeit. Am Ende erzielten sie sogar noch ein weiteres Tor, doch auch das war irregulär. Bei Geoff Hursts drittem Treffer liefen bereits Zuschauer auf Spielfeld, und Bobbies verfolgten sie auf den Platz.
Jahre nach dem Finale gab Linienrichter Bachmarow zu, dass er gar nicht gesehen hatte, dass der Ball hinter der Linie war. Er hatte einfach aus dem Verhalten der Spieler die Schlussfolgerung gezogen, dass der Ball im Tor gewesen sein müsste. Eine der vielen Geschichten, die dieses Weltmeisterschaftsfinale zu einer ganz besonderen Partie machten.
Die Engländer gewannen 1966 ihren einzigen Titel bei einem großen Turnier. Vielleicht ist es das Karma vom Wembleytor, das die „Three Lions“ seitdem immer wieder scheitern lässt.
Für die Deutschen war die Niederlage letzten Endes doch ein kleiner Erfolg. Der große Kampf auf dem Platz, aber vor allem das faire Verhalten nach der unglücklichen Niederlage, hatte dem ehemaligen Kriegsgegner viel Respekt und Anerkennung eingebracht. 21 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs war es ein Fußballspiel, das die Aussöhnung zwischen Engländern und Deutschen auf den Weg brachte.
Platz 1 – Das Jahrhundertspiel
WM 1970 in Mexiko Halbfinale
Italien – BR Deutschland 4:3 n.V. (1:1, 1:0)
Insgesamt 52 Spiele wurden bei den Weltmeisterschaften 1930-2010 in der Verlängerung oder sogar im Elfmeterschießen entschieden. Die Frage, welches dieser Spiele dabei das beste Spiel aller Zeiten war, bedarf keiner Diskussion. Am Aztekenstadion in Mexiko wurde später eine Gedenktafel angebracht, die an das Halbfinale der WM 1970 erinnert, an das Jahrhundertspiel.
Vor dem Halbfinale 1970 waren die Sympathien der Mexikaner klar verteilt. Die Italiener hatten die Mannschaft des Gastgebers im Viertelfinale mit 4:1 ausgeschaltet, und den Traum der Mittelamerikaner vom Titel jäh beendet.
Deutschland hatte in einem dramatischen Viertelfinale England mit 3:2 nach Verlängerung niedergerungen. Nach der Finalniederlage von 1966 konnte erfolgreich Revanche genommen werden. Jetzt sollte der zweite WM-Titel her.
Das Spiel begann für die Elf von Helmut Schön aber denkbar ungünstig. Nach einem Doppelpass im Mittelfeld zog Boninsegna aus 20 Metern ab, und traf zur Führung für Italien. Danach entwickelte sich für den Rest der Partie ein Spiel auf ein Tor.
Angepeitscht von den über 100.000 Zuschauern, die immer wieder die Sprechchöre „Alemania, Alemania“ anstimmten, drückte die deutsche Mannschaft auf den Ausgleich.
Doch Torwart Enrico Albertosi, die Latte und Schiedsrichter Arturo Yamasaki verhindern aber ein Tor. Ein ums andere Mal drückte der peruanische Schiedsrichter beide Augen zu, wenn die Italiener im eigenen Strafraum rustikal gegen die deutschen Angreifer klärten.
Zu allem Überfluss hatte sich Franz Beckenbauer bei einem der zahlreichen Zweikämpfe in der zweiten Halbzeit an der Schulter verletzt. Da das Wechselkontingent bereits ausgeschöpft war, musste Beckenbauer den Rest des Spiels mit dem Arm in der Schlinge weiterspielen. Das Bild des Kaisers mit bandagiertem Arm, einer der vielen Eindrücke dieses Spiels.
Die Italiener versuchten sich auch mit Zeitschinderei ins Finale zu retten, und ließen sich bei scheinbaren Verletzungen immer wieder viel Zeit. Der deutsche Reporter Kurt Brumme kommentiere damals mit süffisantem Unterton das Zeitspiel eines italienischen Abwehrspielers: „Burgnich ist soeben verstorben, sehe ich. Nein, da kommt er wieder.“[ Als es bereits so aussah, dass Deutschland nur das Spiel um den dritten Platz bestreiten dürfte, da segelte noch einmal eine Flanke von links in den italienischen Strafraum. Karl-Heinz Schnellinger, damals der einzige deutsche Legionär in Italien, drückte den Ball über die Linie – Verlängerung.
Allein die folgenden 2 x 15 Minuten, gehören zum Besten und Dramatischsten, was sich jemals bei einer WM abgespielt hat. Bei Temperaturen von 50° in der Sonne und in der dünnen Luft von Mexiko City auf 2.200 Metern Höhe, gingen beide Mannschaften an die Grenzen ihrer Belastbarkeit.
Jetzt war es erstmal Gerd Müller, der Deutschland in der 94. Minute erstmals in Führung brachte. Kaum hatten die Deutschen zu Ende gejubelt, da hatte Italien durch Tarcisio Burgnich wieder ausgeglichen (98.). Die Spieler hatten sich jetzt aller taktischen Fesseln entledigt, und die Zuschauer feuerten nun auch die Italiener mit „Ra, ra, ra, Italia“ an.
Das half, und schon lagen die Südeuropäer wieder vorne. Luigi Riva hatte in der 104. Minute zum 3:2 getroffen.
In der Halbzeit der Verlängerung war nur kurz Zeit zum Durchschnaufen, dann ging es wieder los mit dem Wahnsinn im Aztekenstadion. Nun setzten ihrerseits die Deutschen auf volle Offensive, und der unnachahmliche Müller traf per Kopf zum erneuten Ausgleich.
Ein Spiel, das keinen Sieger verdient hatte, und doch einen Sieger benötigte, ging seinem Ende entgegen. Hätte sich die beiden Mannschaften unentschieden getrennt, das Los hätte über die Finalteilnahme entscheiden müssen. Ein Wiederholungsspiel war nicht vorgesehen.
Doch soweit sollte es nicht kommen.
Nur 14 Sekunden nach dem deutschen Ausgleichstreffer verwertete Gianni Rivera einen Querpass mit einem Flachschuss aus knapp 14 Metern zum 4:3. Der letzte Akt in einem unglaublichen Schauspiel.
Nach dem Schlusspfiff übergab sich der Italiener Angelo Domenghini vor Erschöpfung. Viele Spieler waren gar nicht in der Lage ihre Emotionen zu zeigen, so viel Kraft hatte das Spiel gekostet. Schon kurz nach dem Spiel war aber vielen Beteiligten klar, dass sie mit dieser Partie Fußballgeschichte geschrieben hatten.
Im anschließenden Finale hatte Brasilien gegen völlig erschöpfte Italiener leichtes Spiel. Deutschland konnte zumindest das Spiel um den dritten Platz für sich entscheiden. Vier Jahre später reichte es zur zweiten Weltmeisterschaft.
Einen einmaligen Titel gewannen die Mannschaften von Italien und Deutschland 1970 trotzdem. Ihnen gehört das „Spiel des Jahrhunderts“.
Quellen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Fu%C3%9Fball-Weltmeisterschaft_1982
http://de.wikipedia.org/wiki/Fu%C3%9Fball-Weltmeisterschaft_1966/Finalrunde
http://de.wikipedia.org/wiki/Wembley-Tor
http://www.robots.ox.ac.uk/~vgg/publications/papers/reid96.pdf
http://de.wikipedia.org/wiki/Fu%C3%9Fball-Weltmeisterschaft_1970
http://de.wikipedia.org/wiki/Jahrhundertspiel
[1] Schumacher heizte die Stimmung gegen die Deutschen nach dem Spiel noch mehr an. Als er erfuhr, das sein Opfer mehrere Zähne verloren hatte, kommentierte er dies mit den Worten:“ Dann zahl‘ ich ihm seine Jacketkronen.“
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