Die Top 11 der WM-Spiele mit Verlängerung und Elfmeterschießen – Plätze 7-4
Teil zwei der Top 11 der besten K.O. Spiele bei Weltmeisterschaften, die in der Verlängerung oder im Elfmeterschießen entschieden wurden. Heute im Programm: Der Anfang eines englischen Traumas, der Blackout einer Stilikone, der geplatzte Traum eines ganzen Kontinents und der unrühmliche Abgang eines Superstars.
Platz 7 – Der weinende Paul
WM 1990 in Italien Halbfinale
BR Deutschland – England 1:1 n.V. (1:1, 0:0), 4:3 i.E.
„We call it a Klassiker“ hat Franz Beckenbauer in späteren Jahren als Fußballexperte einmal über die Partie Deutschland gegen England gesagt. Doch auch ohne diesen Ausspruch war 1990 der Fußballwelt klar, dass ein Halbfinalspiel zwischen der deutschen Nationalmannschaft und den „Three Lions“ zu den großen Duellen der WM-Geschichte gehört.
Dabei hatten beide Teams im Viertelfinale nicht recht überzeugen können. Deutschland reichte ein mageres 1:0 gegen zehn Tschecheslovaken zum Weiterkommen. Die Engländer hatten ihre Mühe mit Kamerun, und gewannen erst nach Verlängerung mit 3:2.
Im Halbfinale in Turin konnte sich in der ersten Halbzeit auch keine der beiden Mannschaften vor dem Tor entscheidend in Szene setzen. Die Deutschen mussten kurz vor dem Seitenwechsel sogar den verletzten Rudi Völler durch Karl-Heinz Riedle ersetzen.
Nach der Pause konnten dann die Fans der DFB-Elf erstmals jubeln. Der Treffer war allerdings sehr kurios. Andi Brehme zielte mit einem Freistoß aus 20 Metern aufs englische Tor, Paul Parker warf sich in den Schuss und fälschte den Ball ab. Das Spielgerät flog im hohen Bogen über Torwart Peter Shilton, und senkte sich genau vorm Querbalken ins Tor. 60 Minuten waren gespielt und das Team von Franz Beckenbauer lag vorne.
Doch die Engländer wehrten sich und kamen zehn Minuten vor dem Ende der regulären Spielzeit zum Ausgleich. Wieder war das Tor eher ein Zufallsprodukt. Klaus Augenthaler unterschätzte einen langen Ball, verlor kurzfristig die Orientierung und behinderte sich mit Guido Buchwald im deutschen Strafraum gegenseitig. Der englische Mittelstürmer Gary Lineker nutzte die Verwirrung und erzielte mit einem Schuss durch die Beine von Jürgen Kohler den Ausgleich. Wie schon bei den Turnieren 1966 und 1970 ging es in die Verlängerung.
Beide Teams zeigten großen Kampfgeist, und Chris Waddle für England und Buchwald für Deutschland trafen noch den Pfosten. Außerdem sah der Star der englischen Mannschaft, der bullige Mittelfeldspieler Paul Gascoigne, nach einem Foulspiel die gelbe Karte. Damit war der junge Mann von den Tottenham Hotspurs für ein mögliches WM-Finale gesperrt. Seiner Enttäuschung ließ er noch auf dem Platz freien Lauf. Ein Foto, auf dem Gascoigne nach der Verwarnung in sein Trikot weint, wurde später von den Briten zum denkwürdigsten Moment ihrer Sportgeschichte gewählt.
Schließlich stand es auch nach 120 Minuten 1:1, und die Entscheidung musste im Elfmeterschießen fallen. Stellvertretend für das Fairplay zwischen den beiden Teams an diesem Abend standen dabei die Trainer Beckenbauer und Bobby Robson. Kurz vorm Elfmeterschießen gaben sich beide die Hand, und bekundeten dem Gegenüber ihren Respekt für die Leistung seiner Mannschaft.
Im Elfmeterschießen entwickelte sich dann das große Trauma der Engländer. Dabei hatten die ersten drei Schützen beider Mannschaften ihre Elfmeter allesamt verwandelt. Stuart Pierce, damals in Diensten von Nottingham Forrest, war als vierter englischer Spieler an der Reihe, und schritt zum Punkt. Der Abwehrspieler traf den Ball zwar gut, der Schuss war aber unplatziert und landete am Bein von Torwart Bodo Illgner.
Der kleine Olaf Thon traf direkt im Anschluss souverän, und brachte Deutschland erstmals in Führung. So musste der letzte englische Schütze, Chris Waddle, auf jeden Fall treffen, damit England noch eine Chance aufs Finale hätte. Doch Waddle war dem Druck offensichtlich nicht gewachsen, drosch den Ball über das Tor in den Turiner Nachthimmel, und die deutsche Elf stand im Finale.
Für die Engländer begann eine Leidensgeschichte, die sich bei weiteren großen Turnieren wiederholte (siehe Platz 6), und bis heute fortsetzt.
Deutschland spielte beim dritten WM-Turnier hintereinander im Finale, und konnte mit einem 1:0 gegen Argentinien in Rom endlich den dritten Weltmeistertitel erringen.
Als Beckham die Nerven verlor
Platz 6 WM 1998 Achtelfinale
Argentinien – England 2:2 n.V. (2:2, 2:2), 4:3 i.E.
Die Enttäuschung der Niederlage im Halbfinale der Europameisterschaft 1996 im eigenen Land war noch frisch. Aber die englische Nationalmannschaft wollte 1998 in Frankreich endlich wieder einen Titel gewinnen und dazu waren alle Mittel recht. Das Lied der EM ’96 wurde um getextet(Football is coming home), und auch auf dem Platz gab es einige Veränderungen. Beispielsweise lief ein milchgesichtiger 18-jähriger Jüngling namens Michael Owen im Sturm für die „Three Lions“ auf. Bereits in der Vorrunde hatte der kleine Stürmer vom FC Liverpool Torjägerqualitäten unter Beweis gestellt, und sich in die Startelf der Engländer gespielt.
Im Achtelfinale in St. Etienne lieferte Owen dann sein Meisterstück ab. Nachdem Gabriel Batistuta und Alan Shearer, jeweils per Foulelfmeter, zwei frühe Tore erzielten, hatte Owen seinen ganz großen Auftritt. Fast aus der eigenen Hälfte kommend, narrte er mit einer Körpertäuschung im Vollsprint die argentinische Hintermannschaft, und traf oben links zur Führung. Die Englischen Fans, unter ihnen Stones-Frontmann Mick Jagger, waren entzückt. Auch wenn Javier Zanetti noch vor der Pause, mit einer tollen Freistoßvariante zum 2:2 ausgleichen konnte, hätte es der Abend des Michael Owen werden können.
Ausgerechnet der etablierte Superstar des eigenen Teams zerstörte aber die englischen Siegchancen kurz nach Wiederanpfiff. David Beckham, Mittelfeldspieler von Manchester United, und vielleicht der erste „Popstar“ unter den Fußballspielern, lag nach einem Foul von Diego Simeone am Boden. Statt aufzustehen und weiterzuspielen, trat Beckham seinem argentinischen Kontrahenten in die Hacken. Der dänische Schiedsrichter Kim Milton Nielsen stand direkt daneben und zückte sofort die rote Karte. Diesen Platzverweis haben viele Engländer „Becks“ bis heute nicht verziehen.
Mit neun Feldspielern waren die Möglichkeiten der Mannschaft von Glenn Hoddle natürlich eingeschränkt. Trotzdem versuchten die „Three Lions“ weiter tapfer nach vorne zu spielen. Es gelang ihnen sogar das vermeintliche Golden Goal in Person von Sol Campbell. Schiedsrichter Nielsen verweigerte dem Treffer allerdings die Anerkennung, weil Shearer zuvor Torwart Carlos Angel Roa im Fünfmeterraum angegangen war.
Die Argentinier konnten ihre numerische Überlegenheit auch nicht nutzen um das dritte Tor zu erzielen, und so mussten die Engländer wieder mal ins gefürchtete Elfmeterschießen.
Dort scheiterten erstmal die Routiniers Hernan Crespo und Paul Ince mit ihren Versuchen an David Seaman und Roa. Michael Owen bewies anschließend auch bei seinem Elfmeter Nervenstärke. dennoch verloren die Engländer wieder einmal in der Elferlotterie. Schlussendlich war es David Batty, damals in Diensten von Newcastle United, der die scheinbar unvermeidliche Niederlage mit seinem Fehlschuss besiegelte.
Zum dritten Mal innerhalb von acht Jahren waren die Engländer bei einem großen Turnier im Elfmeterschießen gescheitert. David Beckham war in der Heimat der große Buhmann und der Traum vom zweiten Titel war ausgeträumt. Die „Three Lions“ schieden 2004(EM), 2006(WM) und 2012(EM) auch in nachfolgenden Turnieren immer wieder nach Elfmeterschießen aus.
Als Afrikas Traum vom Halbfinale platzte
Platz 5 WM 2010 in Südafrika Viertelfinale
Uruguay – Ghana 1:1 n. V. (1:1, 0:1), 4:2 i.E.
Noch nie konnte sich eine afrikanische Mannschaft für das Halbfinale einer WM qualifizieren. Auch in Südafrika 2010 waren fast alle Teams vom schwarzen Kontinent in der Vorrunde gescheitert. Fast alle, denn Ghana hatte sich für die K.O.-Runden qualifiziert und auch das Achtelfinale mit 2:1 n.V. gegen die USA gewonnen. Ein ganzer Kontinent hoffte darauf, dass endlich der Schritt in die Runde der letzten vier gelingen würde. Gegner im Viertelfinale war Uruguay. Die Südamerikaner hatten bisher überzeugt, und im Turnierverlauf erst ein Gegentor bekommen.
Dementsprechend selbstbewusst trat die Mannschaft um Torjäger Diego Forlan zu Beginn des Spiels auf. Nach ungefähr einer halben Stunde erwachten die Ghanaer aber aus ihrer Lethargie, und spielten sich immer mehr frei. Als es so aussah, als würde es mit einem torlosen Unentschieden in die Pause gehen, traf Sulley Ali Muntari zur Führung für die Afrikaner.
Nach einem Torwartfehler von Richard Kingson konnten die „Urus“ aber 10 Minuten nach Wiederbeginn ausgleichen. Forlan hatte den Freistoß geschossen. Es entwickelte sich ein begeisterndes Spiel, bei dem Asamoah Gyan und Luis Suarez gute Möglichkeiten zum Führungstreffer ausließen.
So blieb es beim 1:1, und auch die folgenden 30 Minuten Verlängerung waren so gut wie abgelaufen. Ghana kam noch einmal an den Strafraum der Uruguayer und schoss aufs Tor. Torwart Fernando Muslera wehrte den Ball nach vorne ab, und Anthony Annan köpfte in Richtung leeres Tor. Muslera war geschlagen, aber Stürmer Suarez sprang auf der Torlinie, riss den Arm nach oben und wehrte den Ball regelwidrig ab.
Die Entscheidung war eindeutig – rote Karte für den Aushilfstorwart Suarez und Elfmeter in der 120. Minute für Ghana. Die große Chance für Asamoah Gyan zum Helden von Ghana und des afrikanischen Fußballs zu werden. Ein Tor, und Ghana stünde im Halbfinale der WM, ausgerechnet in Südafrika, auf dem eigenen Kontinent. Doch der Stürmer, der 2010 für Stade Rennes in Frankreich spielte, konnte die Gelegenheit nicht nutzen. Sein Elfmeter klatschte an die Latte und flog von dort ins Toraus. Ende – Aus – Elfmeterschießen.
Minuten später stand Gyan wieder am Elfmeterpunkt, als erste Schütze für Ghana im Elfmeterschießen. Diesmal behielt er die Nerven und glich den ersten Treffer Uruguays durch Forlan aus. Erst John Mensah, dem dritten Schützen Ghanas, versagten die Nerven. Aber auch Maxi Pereira zielte zu hoch, und so war Ghana wieder im Spiel. Doch es war noch nicht der große Abend Afrikas an diesem zweiten Juli in Johannesburg. Dominic Adiyiah konnte ebenfalls nicht verwandeln, und Sebastián Abreu erzielte den entscheidenden Treffer für Uruguay.
Während sich Luis Suarez für seinen Unsportlichkeit in der Schlussminute feiern ließ[1], war die Enttäuschung der Afrikaner groß. Nach dem Vorrundenaus von Gastgeber Südafrika hatten alle Hoffnungen auf Ghana gelegen.
Die Uruguayer verloren ihre beiden nächsten Spiele jeweils mit 2:3. Erst unterlag man im Halbfinale gegen die Niederlande, dann war Deutschland im Spiel um Platz 3 um ein Tor besser. Letztlich reichte es doch nur zu Platz vier bei der WM 2010.
Der Abgang
Platz 4 WM 2006 in Deutschland: Finale
Italien – Frankreich 1:1 n.V. (1:1, 1:1), 5:3 i.E.
Nein, in meiner Erinnerung ist nicht der Kopfstoß das Bild dieses Finales. Auch wenn diese Szene vermutlich das Spiel entschieden hat. Es ist auch nicht der verschossene Elfmeter von Trezeguet, der an die Latte ging, oder der Jubel und die Feierlichkeiten der Italiener.
Wenn ich an das Finale der WM in Deutschland denke, dann sehe ich vor meinem inneren Auge, wie Zinedine Zidane am WM Pokal vorbeigeht. Der vielleicht größte Spieler seiner Ära verlässt die große Bühne des Fußballs vorzeitig. Er schreitet die Treppen hinab, hinunter in die Katakomben des Berliner Olympiastadions. Den Pokal, den er acht Jahre zuvor für Frankreich gewonnen hatte, würdigt er keines Blickes. Dabei sollte er diesen Pokal wenig später in die Höhe stemmen. Es sollte der letzte große Abend des Zinedine Zidane werden. Das Finale furioso eines Künstlers am Ball.
Das Spiel hatte für die Franzosen ideal begonnen. Bereits nach sieben Minuten konnte Zidane die „Equipe Tricolore“ mit einem Elfmetertor 1:0 in Führung bringen. Wie nah Genie und Wahnsinn nebeneinander liegen, zeigte bereits diese Szene. Der freche Lupfer von „Zizou“ touchierte die Unterkante der Latte, und landete nur ganz knapp hinter der Linie.
Auch das Glück schien für den perfekten Abschluss von Zidanes Karriere sorgen zu wollen.
Ich war für Frankreich an diesem Abend. Wie konnte man auch für die Italiener sein? Die hatten sich, mehr schlecht als recht, durch das Turnier geschummelt. Die Fußballgroßmacht Australien wurde nur durch einen unberechtigten Elfmeter in der Verlängerung bezwungen. Vor dem Deutschlandspiel hatten italienische Medien für die Sperre gegen Thorsten Frings gesorgt. Dann hatte Italien Deutschland im Halbfinale ausgeschaltet. Klar, der Sieg der Italiener war verdient, aber wen interessierte das schon. „Die Petzen hatten gewonnen“, so war der Tenor in der deutschen Öffentlichkeit.
Gegen die Franzosen sprach aus deutscher Sicht dagegen wenig. Die Mannschaft von Trainer Raymond Domenech war auf Wiedergutmachung aus. 2002 war man als Titelverteidiger in Japan und Südkorea kolossal gescheitert. In Deutschland hatten „les Bleus“ aber eine Art Renaissance erlebt. Besonders ein kleiner junger Mann auf der linken Seite hatte sich meine Aufmerksamkeit erspielt. Er sollte mir später noch einige Male begegnen. Sein Name: Franck Ribéry.
Nach dem schnellen Ausgleich der Italiener durch Marco Materazzi. war das Finale in Berlin dann weitgehend taktisch geprägt. Die Franzosen waren die etwas aktivere Mannschaft und taten auch mehr fürs Spiel, entscheidend durchsetzen konnten sie sich aber auch nicht. So lief das Spiel unaufhaltsam in Richtung Elfmeterschießen, als nach 110 Minuten plötzlich etwas Unruhe entstand.
Materazzi lag am Boden und hielt sich den Brustkorb. Gianluigi Buffon war anscheinend der einzige auf dem Spielfeld, der etwas gesehen hatte, und beschwerte sich lautstark beim Schiedsrichter. Der hielt kurz Rücksprache mit dem vierten Offiziellen an der Seitenlinie, und zeigte dann, zum Entsetzen aller, außer den Italienern, Zidane die rote Karte. Der nahm den Platzverweis regungslos hin, und ging langsam vom Feld.
Dann folgte die erste Zeitlupe vom Kopfstoß, und noch heute, acht Jahre danach, wirkt das ganze Geschehen surreal. Keine versteckte Aktion, sondern offen und mit voller Wucht schnellte der Kopf von Zidane gegen die Brust von Materazzi.
Italien gewann das Spiel im Elfmeterschießen. Der erste Erfolg der „Squadra Azzura“ in der Glückslotterie des Fußballs. Insgesamt der vierte Erfolg der Italiener bei einer Weltmeisterschaft.
Ich sehe immer noch dieses Bild vor meinem inneren Auge, der Rücken von Zidane, der WM-Pokal und das langsame Verschwinden eines tragischen französischen Helden.
Quellen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Fu%C3%9Fball-Weltmeisterschaft_1990
http://www.dfb.de/news/de/d-nationalmannschaft/wm-1990-der-triumph-von-rom/58043.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Fu%C3%9Fball-Weltmeisterschaft_1998
http://de.wikipedia.org/wiki/Fu%C3%9Fball-Weltmeisterschaft_2010
http://de.wikipedia.org/wiki/Fu%C3%9Fball-Weltmeisterschaft_2006
[1] „Das war die beste Parade des Turniers“ bewertete der polarisierende Stürmer seine Rettungsaktion auf der Linie.
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