Ein Norddeutscher verlässt Bayern
Der FC Bayern hat mit einer Pressemeldung das bestätigt, was sich seit Wochen angedeutet hat: „Der Wechsel von Toni Kroos (24) zu Real Madrid ist perfekt. Sowohl der Nationalspieler als auch der FC Bayern München haben mit dem spanischen Champions-League-Sieger Einigung über den Transfer erzielt. Toni Kroos hat bei Real Madrid einen Sechsjahres-Vertrag unterzeichnet. Über die Ablösesumme haben beide Klubs Stillschweigen vereinbart.“[1]
Innerhalb von zwei Wochen wechselt der zweite Spieler von München nach Madrid. Nach dem Abgang von Mario Mandzukic zum Champions League Finalisten Atletico, verstärkt Kroos jetzt sogar den Sieger Real Madrid. Entwickelt sich in München ein Trend oder ist das nur Zufall?
Vereinsführung konsequent oder unflexibel?
Der FC Bayern hatte Toni Kroos ein Vertragsangebot gemacht, in dem seine Bezüge angehoben wurden. Laut Insidern aber nicht so, dass er in eine Gehaltsstufe mit den Superstars Franck Ribéry und Arjen Robben vordringen konnte. Und wohl auch noch eine Stufe unter Philipp Lahm und Thomas Müller, die vor der WM ihre Verträge verlängerten. Kroos war mit den Bedingungen nicht einverstanden und wollte nachverhandeln. Der FC Bayern aber blieb stur.
Gegenüber dem Kicker äußerte sich Präsident Karl Hopfner wie folgt: „Es gibt sicher weitere Gespräche. Irgendwann muss der Spieler aber sagen, was er will. Gewisse finanzielle Grenzen werden wir weiter nicht überschreiten. Bei Michael Ballack war es genauso, und irgendwann haben wir das Angebot zurückgezogen.“
Genau diesen Schritt ging der Verein dann vor der WM. Nachdem Kroos das Angebot nicht annehmen wollte, zog der FCB die Offerte zur Vertragsverlängerung zurück. Außerdem stellte Karl-Heinz Rummenigge klar, „dass wir den Spieler im nächsten Jahr nicht ablösefrei verlieren wollen.“ Damit stand fest, dass Kroos noch in diesem Sommer wechseln würde.
Fehlende Wertschätzung für Kroos?
Wer das Halbfinale bei der WM in Brasilien gesehen hat, der fragt sich, warum der FC Bayern einen Spieler wie Toni Kroos gehen lässt. Die Gala gegen den Gastgeber trug vor allem die Handschrift von Kroos, der mit zwei Toren, einer Vorlage, vielen angekommen Pässen und den meisten Ballkontakten aller Spieler auf dem Platz glänzte. Zudem war Kroos das gesamte Turnier über einer der besten deutschen Spieler. Die guten Standards, die bei der WM die DFB-Elf so gefährlich machten, wurden fast durchweg von Toni Kroos ausgeführt. Auch bei den Top 11 der WM, die auf vielen verschiedenen Internetseiten erstellt wurden, tauchte immer wieder der Name Toni Kroos auf.
Kein Wunder also, dass sich der 24jährige fragt, warum ihm beim FC Bayern nicht die gleiche Wertschätzung entgegengebracht wird, wie den anderen deutschen Nationalspielern, oder den ausländischen Superstars? Auch im Verein zeigte Kroos überragende Leistungen, vor allem in den Hinspielen in der Champions League beim FC Arsenal war er 2013 und 2014 überragend.
Viele Experten sehen in Kroos den perfekten Mittelfeldspieler. Stefan Effenberg äußerte sich noch im April gegenüber Goal.com lobend über den gebürtigen Greifswalder: „Er ist enorm wichtig, weil er Ruhe ausstrahlt, er in meinen Augen diese Sicherheit in sich trägt und unglaublich routiniert auftritt.“ Außerdem passt Kroos nach Effenbergs Ansicht gut zum System, das die Bayern unter Pep Guardiola spielen: „Wie Schweinsteiger ist er ein Spieler, der kaum Fehler macht. Das ist genau das, was Trainer Pep Guardiola will und braucht, um den Ball zu halten.“[2]
Der Vergleich mit Bastian Schweinsteiger zeigt aber auch, was einer der Gründe für den Abgang von Toni Kroos sein könnte. Während die Anhänger Schweinsteiger den Titel „Fußballgott“ verliehen, wurde Toni Kroos eher akzeptiert, aber nicht geliebt. Kroos steht nicht nach dem Spiel mit dem Megaphon in der Südkurve und feiert, er analysiert im Interview eher sachlich und kühl das Geschehen auf dem Rasen. So wie häufig auch auf dem Platz während der Partie.
Zwischen Weltklasse und Schlaftablette
Aber gibt der FC Bayern einen Spieler von internationaler Klasse ab, nur weil er nicht das innigste Verhältnis zu den treuesten Fans hat? Die unterkühlte Bindung zu den Anhängern ist die eine Seite der Medaille. Da ist aber noch mehr, was Toni Kroos für die Vereinsführung entbehrlich machte.
Das zeigte sich auch beim Finale der WM in Brasilien. Während Schweinsteiger immer wieder die Lücken zu lief und vor allem kämpferisch den Argentiniern Paroli bot, war von Toni Kroos im Endspiel wenig zu sehen. Keine Impulse nach vorne und 60 % seiner Zweikämpfe verloren. Seine Schusschancen vergab Kroos kläglich, obwohl doch gerade die hervorragende Schusstechnik zu den herausragenden Eigenschaften des Mittelfeldspielers gehört. Wie so häufig in großen Partien tauchte Toni Kroos ab.
Im Halbfinale der Champions League 2014 gegen Real Madrid war von ihm wenig zu sehen. Beim 0:3 von Christiano Ronaldo im Rückspiel in München trabte er nur hinterher. Auch im Finale 2012 konnte Kroos keine entscheidenden Akzente setzen. Als es gegen den FC Chelsea ins Elfmeterschießen ging, da traute er sich nicht einmal mehr einen Elfmeter zu. Antreten und Scheitern wird in München akzeptiert. Wer aber im entscheidenden Moment kneift, der verspielt viel Kredit.
Als die Bayern dann 2013 in Wembley endlich den ersehnten Triumph in der Champions League feiern konnten, da stand Toni Kroos gar nicht auf dem Platz. Er hatte einen Muskelbündelriss im Viertelfinalhinspiel gegen Juventus Turin erlitten, und war für den Rest der Saison verletzungsbedingt ausgefallen. Trainer Jupp Heynckes war zum Umstellen gezwungen und Arjen Robben rückte in die Startelf. Es folgten die beiden Gala-Auftritte der Münchner im Halbfinale gegen den FC Barcelona. Und dann erzielte Robben auch noch das entscheidende Tor in Wembley. Ohne Toni Kroos hatte die Mannschaft den größten Titel im europäischen Vereinsfußball gewonnen.
Ein eigener Spielertyp
Doch auch diese Aussage wird Toni Kroos nicht gerecht. Toni Kroos ist beides. Zum einen der Weltklassespieler im Mittelfeld, der mit einem Volleyschuss oder einem gezielten Schlenzer ein Spiel entscheidenden kann. Passsicher, zweikampfstark und elegant. Aber er ist auch der Spieler, der nicht im Vollsprint einen Gegenspieler verfolgt, um dann mit einer Grätsche den Ball weg zu spitzeln. Kroos versucht bereits vorher mit gutem Stellungsspiel das Zuspiel an den gegnerischen Spieler zu unterbinden.
Toni Kroos ist ein eigener Spielertyp und nicht eins zu eins vergleichbar mit anderen Mittelfeldspielern. Er hat seine individuellen Stärken und Schwächen. Ein Verein muss einschätzen, ob der Spieler Kroos mit seinen fußballerischen Eigenschaften in die eigene Mannschaft passt.
In Madrid wird Toni Kroos mit einigen Vorschlusslorbeeren an den Start gehen. Zusammen mit Sami Khedira ist er einer von zwei Weltmeistern in der Primera Division. Dennoch muss Kroos aufpassen, nicht das Schicksal eines anderen Weltmeisters zu erleiden. Das Beispiel Mesut Özil zeigt, wie schnell auch in Madrid der Ruhm verblasst. Real hat im Mai die Champions League gewonnen, Özil ist in Madrid schon lange kein Thema mehr. Titel zählen oft mehr als Namen. Es sei denn, man heißt Christiano Ronaldo oder Gareth Bale.
Für Toni Kroos bietet sich bei Real Madrid die Chance zu einem ganz großen Spieler zu werden. Das Potenzial dazu hat er. Er muss es nur häufiger abrufen.
Bayern als Verkäuferverein?
Und die Bayern? Muss man sich Sorgen machen, dass den Rekordmeister reihenweise die Leistungsträger verlassen? Wird der große FC Bayern ein Verkäuferverein? Ein klares nein. Bei Toni Kroos ist sich das Management des FCB treu geblieben. Wer beim FC Bayern spielen möchte, der muss auch die Bedingungen und Gehaltsvorstellungen der Münchner akzeptieren. Ansonsten darf der Spieler gehen. Die kolportierten 25-30 Millionen Euro sind eine ordentliche Entschädigung.
Die Verpflichtungen von Robert Lewandowski und Juan Bernat zeigen außerdem, dass die Bayern auch weiterhin in der Lage sind gute Spieler an die Isar zu locken. Die Vertragsverlängerung von Thomas Müller signalisiert zudem, dass der Verein auch bereit ist, junge deutsche Spieler angemessen zu bezahlen.
Mit dem Geld, das die Transfers von Mandzukic und Kroos in die Kassen gespült haben, wird vielleicht ein Nachfolger verpflichtet werden, der den hohen Ansprüchen von Trainer und Vereinsführung eher gerecht werden kann. Oder der Abgang von Kroos macht im Mittelfeld einen Platz für David Alaba oder Pierre-Emile Höjbjerg frei. In jedem Fall gehören die Bayern auch im nächsten Jahr zu den Favoriten auf den Gewinn der Champions League.
Traumfinale Bayern – Real
Ein Finale FC Bayern München – Real Madrid gab es in der Geschichte des Europapokals und der Champions League noch nie. Vielleicht könnte dieses Spiel klären, wer im Fall Toni Kroos die bessere Entscheidung getroffen hat.
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