Zu Besuch beim Letzten seiner Art

Die populärste Theorie über das Aussterben der Dinosaurier ist, dass eine Kombination aus einem Meteoriteneinschlag und der Klimaveränderung durch Vulkanasche zum Verschwinden der Riesenechsen geführt hat. Tatsächlich stirbt der letzte Dinosaurier des deutschen Fußballs aber nicht durch den Klimawandel, auch wenn der aktuell wieder ein Thema ist, sondern durch jahrzehntelange Inkompetenz und Missmanagement. Der Hamburger SV, selbsternannter Dinosaurier der Bundesliga, siecht vor aller Augen sichtbar, langsam seinem Ende entgegen.

Ideale Rahmenbedingungen – Seit 1987 kein Titel

Uli Hoeneß hat einmal gesagt, dass der Hamburger SV der einzige Club ist, der auf Dauer dem FC Bayern gefährlich werden könnte. Auch wenn Uli Hoeneß in letzter Zeit nicht gerade für Glaubwürdigkeit steht, in diesem Fall hatte er Recht. Hamburg ist die zweitgrößte deutsche Stadt und außerdem einer wichtigsten und größten Wirtschaftsstandorte des Landes. Zudem hat der HSV eine der größten und treuesten Fangemeinden in der Bundesliga. Seit 2005 hatten die Hanseaten immer einen Zuschauerschnitt von über 50.000 Besuchern pro Spiel. Überall in der Republik finden sich Anhänger vom Club mit der schwarz-weiß-blauen Raute. Doch seit dem Pokalsieg 1987 hat der HSV keinen Titel mehr gewonnen.

Selbst wenn man die Branchengrößen aus Dortmund und München außen vor lässt, dann ist die Erfolgslosigkeit des HSV, bei den gegebenen Rahmenbedingungen kaum fassbar. Wie einmalig das Versagen ist, zeigt ein Blick auf folgende Liste: Eintracht Frankfurt, SV Werder Bremen, Schalke 04, 1. FC Nürnberg, 1. FC Kaiserslautern, VFL Wolfsburg, VFB Stuttgart, Bayer 04 Leverkusen, Borussia Mönchengladbach, Hannover 96 (1992 2.Liga!). All diese Vereine wurden seit 1987 mindestens einmal Deutscher Meister oder gewannen den DFB-Pokal. Der HSV erreichte in diesem Zeitraum nicht ein einziges Pokalfinale und wurde in keinem Jahr Vizemeister. Die größten Erfolge seit 1987 sind zwei dritte Plätze und das Erreichen des UEFA-Cup-Halbfinales 2009.

Aber wo liegen die Gründe für diese Erfolglosigkeit? Da wäre z.B. die fehlende sportliche Qualität. Wer am vergangenen Samstag im Stadion war, der hat eine Mannschaft aus Hamburg gesehen, die 30 Minuten lang gut gekämpft hat. Die Spieler sind viel gelaufen und haben versucht mit Kampf und Einsatz die Defizite gegenüber den Bayern wettzumachen. Das war es dann aber auch. Nach dem ersten Gegentor durch Mario Götze war diese Taktik hinfällig. Spätestens nach der Pause hatten die Gäste aus München leichtes Spiel. Das es nicht mehr als 4 Gegentore wurden, lag eher an der Lustlosigkeit der Bayern, als an der Leistung des HSV. Am Ende stand also eine deutliche 1:4-Heimniederlage. Nur die Niederlagen von Braunschweig und Nürnberg verhinderten, dass der HSV sogar auf einen direkten Abstiegsplatz abrutschte.

Die Bewertung der Partie gegen die Bayern durch die Hamburger Spieler und den Verantwortlichen wirkte dagegen realitätsfern.  Da wurde davon geredet, dass man „gut ins Spiel gekommen ist und richtig Gas gegeben hat.“ (Tomás Rincón).  Es wurde sogar festgestellt, dass die Mannschaft „gut gespielt hätte“ (Kerem Demirbay).  Ohne Kenntnis der aktuellen Lage hätte der Eindruck entstehen können, dass der HSV irgendwie unglücklich verloren hatte, aber der Klassenerhalt trotzdem so gut wie gesichert sei. Die Bewertung dieser Niederlage steht stellvertretend für das Selbstverständnis, das innerhalb des HSV seit langem an den Tag gelegt wird. Die eigene Leistungsfähigkeit wird vollkommen überschätzt.

„Auf Augenhöhe mit Schalke und Wolfsburg“

Noch vor Wochen redete Manager Oliver Kreuzer davon, dass „wir mit jeder anderen Mannschaft mithalten können.“ Die Saisonprognose von HSV-Boss Carl-Edgar Jarchow aus dem Juli letzten Jahres wirkt in der aktuellen Situation schon fast wie Galgenhumor. „Bayern, Dortmund und Leverkusen erwartet man vorn, danach sollten dann Schalke, Wolfsburg und wir kommen“, sagte der 58-Jährige damals dem Hamburger Abendblatt. „Mit den beiden sehe ich uns auf Augenhöhe.“ Wie sollen also die Spieler realistische Einschätzungen abgeben, wenn das Management in anderen Sphären schwebt?

Wobei es die Geschäftsführung auch nicht einfach hat. Die Strukturen des HSV sind in der heutigen Zeit vollkommen veraltet. Während bei anderen Bundesligisten die Profis meistens in eine eigene AG ausgelagert sind, hat der HSV noch einen elfköpfigen Aufsichtsrat, der von allen Mitgliedern gewählt wird. Veränderungen und schnelle Entscheidungen sind damit kaum möglich. Um etwas zu verändern braucht es allerdings auch Ideen, die umgesetzt werden sollen. Doch Ideen fehlen dem HSV seit langer Zeit.

Statt dem Verein ein Konzept zu geben, wurde immer wieder die Philosophie an die jeweils handelnden Personen angepasst. Frank Arnesen z.B. holte die halbe zweite Mannschaft von seinem alten Arbeitgeber Chelsea nach Hamburg. In der Ära von Thorsten Fink wurde Stürmer Jacques Zoua aus Basel geholt, obwohl der Kameruner in der Schweiz gerade einmal ein Tor in 24 Spielen erzielen konnte. Professionelles Scouting sieht anders aus.

Nicht nur bei den Spielern, auch beim Management hatte der HSV kein glückliches Händchen. Matthias Sammer war vor Jahren im Gespräch, Jörg Schmadtke stand im Sommer wohl kurz vor der Unterschrift. Stattdessen wurde Oliver Kreuzer verpflichtet, der als Referenz den Abstieg des Karlsruher SC in die dritte Liga vorzuweisen hatte – Anspruch und Wirklichkeit.

Erst Hoffen auf Magath, jetzt auf HSVPLUS

Als Heilsbringer werden dann zwischenzeitlich auch immer wieder ehemalige Spieler aus der „guten alten Zeit“ des HSV gehandelt. So war im Frühjahr Felix Magath als Trainer und/oder Manager im Gespräch. Das Konzept von Magath war zwar auch undurchsichtig, aber er trage ja „die Raute im Herzen.“ Wie wichtig der HSV dem Kapitän der Europapokalsieger-Mannschaft von 1983 wirklich war, zeigte er dann einen Tag nach seiner Ablehnung durch den Aufsichtsrat. Statt abzuwarten, um im Sommer für „seinen HSV“ da zu sein, wechselte er zum Scheich-Club Fulham nach England.

Dennoch gibt es ein wenig Licht am Ende des Tunnels. Bei der Mitgliederversammlung im Januar wurde ein neues Konzept namens „HSVPLUS“ vorgestellt. Am 25. Mai stimmen die Vereinsmitglieder darüber ab, ob dieses Konzept umgesetzt werden soll. Zwar sind auch hier ehemalige Spieler wie Thomas von Heesen Teil der Zukunftsvision, trotzdem erscheinen die Ideen von „HSVPLUS“ schlüssig. So könnten also ab dem Sommer in Hamburg längst überfällige Reformen eingeleitet werden.

Drohende Insolvenz – Strohhalm Relegation

Dazu muss aber erst einmal sportlich der Klassenerhalt geschafft werden. Gelingt dies nicht, dann droht den Hamburgern wegen Lizenzentzugs sogar der Abstieg in die Drittklassigkeit. Die hohe Schuldenlast von bis zu 100 Millionen Euro kann der Verein auf Dauer nur in der ersten Liga abtragen. So hofft der große HSV am Wochenende auf einen Erfolg gegen den kleinen FSV Mainz 05, um sich dann wenigstens an den Strohhalm Relegation klammern zu können. Dort gilt es dann, fußballerische Größen wie Fürth oder Paderborn  in die Knie zu bezwingen.

Hamburg ist eine der schönsten und lebenswertesten Städte Deutschlands. Es wäre schade, wenn die Stadt in zwei Wochen keinen Verein mehr in der ersten Fußball-Bundesliga hätte. Aber vielleicht ist der HSV auch gar nicht der Dinosaurier der Bundesliga, sondern die langsame Schildkröte. Die gab es schon zur Zeit der Dinosaurier, und sie hat bis heute überlebt.

FacebooktwitterpinterestlinkedintumblrmailFacebooktwitterpinterestlinkedintumblrmailby feather

1 Comment

Leave a Comment

Please be polite. We appreciate that.
Your email address will not be published and required fields are marked